Die Stufen des Lernprozesses

Welche Bedingungen müssen für die freiwillige Ausführung einer Lektion erfüllt sein? Bei der Handarbeit heißt Freiwilligkeit, dass als Aufforderung Stimme und Gestik genügen.
Schema in Stichworten

  1. Der Ausbilder ist Alpha-Partner. Er gewinnt im Laufe der ersten Wochen das Vertrauen des Pferdes. Sein konsequentes Verhalten wird vom Pferd einschätzbar.
  2. Das Pferd versteht die neue Forderung.
  3. Die nervliche Koordination des Bewegungsablaufs ist wenigstens im Ansatz geprägt.
  4. Die körperliche Fitness entspricht der Übung, zumindest reicht sie für einige wenige Wiederholungen.
  5. Das Pferd ist zum spielerischen Mitmachen motiviert.
  6. Freiwillige, zuvorkommende Ausführung:  sofortiges Loben, Füttern.

Man darf nicht meinen, dass alles immer „wie am Schnürchen“ klappen muss. Bei Problemen muss sich der Ausbilder fragen, in wie weit die oben genannten Bedingungen erfüllt sind. Punkt 4 ist der wichtigste.

Im Erklären zeigt sich der Meister!

Wenn ein Pferd nicht sogleich versteht, kann es dennoch genial sein! Einstein war kein auffallend guter Schüler. Er traf wohl nicht auf den ihm gemäßen Lehrer! Mein Rat ist, niemals insistieren, dafür aber fantasievoll den Einstieg in die neue Lektion modifizieren. Der Zufall ist ein nicht zu unterschätzender Helfer!

Beispiel: Das geschlossene Stehen der Hinterbeine

Das Pferd reagiert übersensibel. Es dauert Tage, ja Wochen, bis es die Gerte an den Hinterbeinen duldet. Dann und wann steht es aber zufällig richtig. Dann ausführlich loben! Nicht am Hals, besser wechselseitig an den Hinterbeinen. Denen „sagen“, dass sie richtig stehen. Das militärische Klopfen bringt im ersten Stadium nichts. Es hat keine Entsprechung zu dem Weideleben. Lobende Hände streicheln. Das lobende auf die Schulter Klopfen gibt es nur beim Menschen und da nur unter Männern. Erst im Laufe der Zeit wird das Pferd das Abklopfen verstehen. In der Kaserne gab es das Kommando „die Pferde loben“. Die Reithalle hallte und die Pferde verstanden, dass die Arbeit beendet war.

Meinem Hengst Dix habe ich den sauberen Stand der Hinterbeine beigebracht, indem ich mit den Händen das falsch stehende Bein an die richtige Stelle zog. In den ersten Stunden war ihm die Gerte nicht geheuer.

Merke: Für alle Lektionen gibt es mehrere Einstiegsmöglichkeiten.

Wer sich ernsthaft – vom Boden aus  – mit seinem Pferd befasst, dem fallen sie wie von selbst in den Schoß. Oft genügt es, den Standort zu wechseln und nicht gerade an der Stelle der Reitbahn an der gestern die Verständigung nicht eingetreten ist, das Gleich nochmal zu verlangen. Das Pferd verbindet den genauen Ort des Geschehens mit der Irritation des Vortags. Umgekehrt gilt: Genau dort, wo gestern der Lehrling erstmals richtig reagiert hat, soll die Wiederholung stattfinden.
Beim heute üblichen Zureiten kann man beobachten, dass Pferde, die bocken, damit bevorzugt an der gleichen Stelle beginnen, sie kann allmählich zur „Angststelle“ werden. Auch dies besorgt die Erinnerung. Beim ersten Bocken gab es an dieser Stelle Schmerz im Maul. Den erwartet das Pferd von neuem. Wir sollten in diesem Stadium nicht erwarten, dass es zwischen Ursache und Wirkung unterscheidet.

Resumee:

Solange das Pferd nicht sicher verstanden hat, darf der Ausbilder von ihm nichts mit Nachdruck verlangen. Er muss in der Erklärungsphase bleiben. Strafen würde das Verstehen nur hinauszögern. Wie oft wird gegen dieses Grundsatzgebot verstoßen!

Noch ein weiteres Beispiel dafür, wie sehr es auf den passenden Einstieg ankommt:

Stute Dali soll an der Hand verstehen, was mit Schulter herein gemeint ist. Ich gehe hinter ihr her auf der linken Hand, verwahre mit der Gerte das linke Hinterbein und führe mit der linken Kappzaumleine die Vorhand nach innen. Ober- und Unterzügel habe ich zuvor gemäß der gewünschten Innenstellung justiert. Die Versuche misslingen. Dali versteht die neue Forderung nicht, obwohl ich nach erreichter Schulterhereinstellung versuche, die Bewegung nach innen zu begrenzen. Statt Schulterherein bekomme ich jedes Mal eine Volte. Meine Reaktion könnte jetzt sein, die Außenleine ins Gebiss zu schnallen und ihre Wirkung zwanghaft zu verstärken. Nach einiger Irritation wäre ich wohl auch so durchgekommen. Ich habe stattdessen lieber eine andere Erklärung gestartet: Handwechsel; statt Schulterherein Schulterheraus auf dem zweiten Hufschlag der rechten Hand. Hinsichtlich der gewünschten Bewegung und Stellung für das Pferd gibt es nur den Unterschied der hinzugekommenen begrenzenden Bande. So kann Dali nicht mehr in die Volte ausweichen!
In den nächsten Tagen entfernen wir uns peu-à-peu von der Bande, bis wir schließlich auf der anderen Seite der Bahn und damit wieder auf der linken Hand und dies im Schulterherein links „landen“. Dieser Einstieg war für Dali passend. Er half, Zwang und Stress zu vermeiden!