Totilas ist ein umwerfendes Pferd. Es ist die Hervorbringung der Natur, die uns begeistert von den Bänken reißt. Das breite Publikum ist leicht zu blenden. Es übersieht die Untat des Reiters. Was er aus dem Ausnahmepferd gemacht hat, entspringt nicht der Schule der Natur. Reitkunst soll doch so wie jede Kunst eine sublimierte Parallele der Natur sein. Und dies bedeutet, dass wir dem Pferd keine Haltungen und Bewegungen abverlangen dürfen, die es in freier Natur nicht gibt. Wenn zum Beispiel Fluchttiere sich im beschleunigten Vorwärts strecken, im Spiel sich verkürzen und runden, muss dies beim Dressurreiten als Eigenheit und Gesetz der Natur ein wichtiges Merkmal bleiben.
Die Regeln der Natur sind für den Reiter wie Gebote. Jedes Tempo hat bei den Fluchttieren seine eigene Silhouette. Wer Pferde auf freier Weide studiert, wird auch den Sinn erkennen: Die Rahmenerweiterung ist technisch nützlich und ästhetisch zugleich. Nutzen und Schönheit sind in der Natur Geschwister.
Wenn wir vom Pferd Bewegungen in der falschen Silhouette verlangen, kann nicht Kunst, sondern allenfalls beeindruckender Kitsch entstehen. Auch für diesen braucht es eine Meisterschaft – es ist die der Scharlatane. Wenn es um Farbe und Leinwand oder auch Musik geht, können wir ihn allenfalls tolerieren. Das Pferd aber dürfen wir nicht dem Publikum zuliebe in die Niederung des Kitsches herunterziehen!
Selbst dann nicht, wenn es sich bereitwillig dazu hergibt!
Auch Funktionäre können auf Kitsch hereinfallen. Es bleibt zu hoffen, dass sie auf die Schulung ihrer Augen zukünftig noch mehr Wert legen!
Fritz Stahlecker Dezember 2009