Zirkus in Windsor – Auf in den Krampf

Überall sind wir in der Krise. So auch im Dressurreiten. Wir leben in einer Zeit des Umbruchs, so vieles kann schief gehen ohne den Kompass der Ethik. Reitkultur, Reiten als Reitkunst gehen verloren, wenn wir uns nicht rühren und wehren.

Da braucht es starke Menschen, die den Mut finden, Position zu beziehen. Beim St. Georg gibt es diesen Mut. Man darf hoffen, dass sich diese Fachzeitschrift finanziellen Zwängen zum Trotz zur geistigen Instanz entwickelt. Eine solche ist jetzt so sehr von Nöten! Krampf und Zirkus sind außerhalb der guten Sache. Das deutliche Wort der Chefredakteurin war notwendig, die Aussage treffend.

Eine zeitgerechte Sinnbestimmung ist überfällig! Dressurreiten darf nicht zur exaltierten Höchstleistung verkommen! Wann endlich kapieren wir, dass Dressurreiten zu Ende gedacht um vieles mehr Kunst als Leistung ist!

Kunst besagt Maßhalten und Ausgewogenheit nahe an der Natur. Weg und Ziel unterliegen strikt den gleichen Kriterien. Wir müssen auch zu Pferde weg von der Lüge, dass die gute Sache jedes Mittel, jede Methode heiligt!

Wer sein Pferd mit dem Ziel der maximalen Leistung herabwürdigend zur Karikatur zusammenzieht, reitet den Weg der Scharlatanerie.

Die Richter sind in der Verantwortung; sie haben die Entwicklung in Richtung Spektakel, weg von Kunst- und Pferdegerechtigkeit zugelassen. Manche scheinen nicht zu sehen, dass Verstärkungen der Gangart ohne betonte Rahmenerweiterung jeder Ästhetik spotten. Sie werden auch nicht misstrauisch, wenn Pferde schweißgebadet mit hervorquellenden Adern ins Viereck kommen. So sieht Mühelosigkeit, die zur Losgelassenheit gehört, nicht aus.

Wie und weshalb sind wir in den Krampf und in den Zirkus geraten?

Für die einfache Antwort reicht ein Satz: Wir sind auf dem falschen Hufschlag, weil wir uns noch nicht mit Überzeugung und daher echter Begeisterung der Ethik der Ehrfurcht vor allem Leben und der Gewaltminimierung verschrieben haben. (Zur Lektüre sei empfohlen Albert Schweitzers Buch „Die Ehrfurcht vor dem Leben“ und „Die Ehrfurcht vor den Tieren“. Manches darin liest sich wie der Vorspann einer zeitgerechten Reitlehre!)

Zu einer unserer Zeit angepassten Ethik zu gelangen, sollte uns wichtiger werden als alle Schleifen zusammen.

Und noch eines: Die Holländer haben uns in dankenswerter Weise besiegt, weil ihre Mogelpackung brillianter ist als die unsrige. Die Niederlage hat auch ihr Gutes, wir haben jetzt viel Anlass und Zeit nachzudenken. Haben nicht auch wir Dreck am Stecken? Auch bei uns gibt es verlogene Dressur in meilenweiter Entfernung vom humanen Ideal der Légèreté. Auch unsere Hände sind oft zu gewaltsam.

Es wäre doch ein Leichtes, wenigstens einige Dressuraufgaben derart zu gestalten, dass verkehrte Show-Ausbildung zu Tage tritt. Schon eine kleine Zickzack-Traversale im Schritt, mit einer Hand geritten, würde genügen, die Spreu vom Weizen zu trennen.

Fritz Stahlecker, 30.9.2009